Bierpolyphonie

Es war die Jahresauftaktkneipe zu der ich, erinnere ich mich richtig, aus dem Munde des amtierenden Seniors, den Auftrag bekam einen sogenannten „Bericht“ zu verfassen. Meine physische, aber ausdrücklich auch meine geistige Verfasstheit zur späten Stunde dieses Abends machen es mir noch heute schwer Gedanken und Reminiszenzen zu ordnen, hatte mich das Klavierspiel ausnehmend und ganz gefordert.

Die Kneipgeschehnisse hätten sich in vielen deutschen Städten, ob Augsburg oder Kaisersaschern, abspielen können. Es war die erste Kneipe des Jahres, der Kneipsaal gut gefüllt und es herrschte eine traditionell-bierselige Atmosphäre, manifestiert durch ein gut bestelltes Präsid, gesellige Gesprächigkeit an den Tischen und einer bereits vorweggenommenen Fidulität in historischen Gemäuern – Dergleichen stellt für das Lebensgefühl die ununterbrochene Verbindung mit der Vergangenheit her, mehr noch es scheint jene berühmte Formel der Zeitlosigkeit, das scholastische „Nunc stans“ an der Stirn zu tragen. Die Identität des Ortes, welcher der gleiche zu sein scheint wie vor 125 Jahren, behauptet sich gegen den Fluss der Zeit1.

Klar erinnern kann ich, dass ich an der Bierorgel sitzend den Einganskantus – „Drei Klänge sind’s“ zum Besten gab. Aber der Akkord ist nicht allein harmonisches Genussmittel, dachte ich, auf meinem Klavierstuhl sitzend, sondern er ist die Polyphonie in sich selbst. Die Töne, die ihn bilden sind Stimmen, dachte ich, und sie sind das desto mehr, und desto entscheidender ist der polyphone Charakter des Akkords, je dissonanter er ist, dachte ich auf meinem Klavierstuhl sitzend2.

Ein Cantus folgte dem vorhergehenden, ich spielte einen nach dem anderen in zunehmender innerer Aufgeregtheit und Erregung. Ein Bier folgte dem vorhergehenden, ein Colloquium reihte sich an das nächste. Gesellige Fidulität. Stimmengewirr. Nächster Kantus.

Je stärker ein Akkord dissoniert, denke ich zu diesem Zeitpunkt längst, je mehr voneinander abstechende und auf differenzierte Weise wirksame Töne er in sich enthält, desto polyphoner ist er, denke ich auf meinem Klavierstuhl sitzend. Die Dissonanz ist der Gradmesser seiner polyphonen Würde3, denke ich.

Der Auszugsmarsch! Davor die Bitte diesen Bericht zu verfassen. Termine. Faschingskneipe nach Aschermittwoch.  Aufregung in der Corona. Ich mache den alternativen Vorschlag einer Starkbierkneipe mit Damen. Ich glaube der Senior ist begeistert. Auszugsmarsch!

Ein Akkord will fortgeführt sein, denke ich mir noch mich auf meinem Klavierstuhl drehend, und sobald du ihn weiterführst, ihn in einen anderen überleitest, wird jeder seiner Bestandteile zur Stimme. Ahh – ein Bier. Ein Akkord als ein Geflecht unabhängiger Stimmen, denke ich noch, man sollte den Akkord aber nicht ehren, sondern als subjektiv-willkürlich verachten, solange er sich nicht durch den Gang der Stimmführung polyphonisch ausweisen kann4.  

  1. Text enthält direkt und indirekt zitierte Passagen aus Thomas Manns „Dr. Faustus“ ↩︎
  2. s.o. ↩︎
  3. s.o. ↩︎
  4. s.o. ↩︎

Thomaskneipe

Die letzten weißen Überreste der schneereichen ersten Tage im Dezember waren noch nicht vollständig geschmolzen, als die Chargia zur Thomaskneipe lud. Der geplante Glühweinumtrunk musste allerdings aufgrund der Witterungsverhältnisse vom Hof in den Fuxenkeller verlegt werden, was die vorweihnachtliche Stimmung allerdings nicht beeinträchtigte.

Senior Luftikus, Consenior Gigabyte und Fuxmajor Weitweg eröffneten den schwungvollen Abend mit dem Kantus „Heut ist heut – Was die Welt morgen bringt“. In seiner Eröffnungsrede blieb der Senior dann auch gleich beim Thema Weihnachtszeit, und so weiß der aufmerksame Kneipbesucher nun, dass in Teilen Spaniens in der Krippe neben Ochs und Esel traditionell ein Hirte mit heruntergelassener Hose ein großes Geschäft verrichtet und in Island böse Kinder von der Katze Jolakötturin gefressen werden.

Nach diesen schockierenden Neuigkeiten hatte die Corona Zeit diese wichtigen Erkenntnisse gemeinsam mit einem vorzüglichen Kassler aus der Philisteria-Sterne-Küche zu verdauen. Unser durch Funk und Fernsehen bekannter Chef de Cuisine Goliath und sein Souschef Kurzschluss zauberten ein vorzügliches Gericht auf die Teller: Kasseler Nacken mit Faßkraut und selbstgemachten (!!!) Buabaspitzle.

Anschließend durfte die Corona gespannt auf die anstehenden Damenrede unseres Conseniors Gigabyte sein. Dieser bemühte, ganz im aktuellen KI-Trend liegend, Chat GPT eine humorvolle Damenrede zu schreiben – Dass die KI an dieser Stelle nicht immer zu 100 Prozent den Humor der Corona traf, sei hier erwähnt. Allerdings muss ich persönlich feststellen, hätte ich auch die Stichworte allein, als eine kurze lyrisch anmutende Damenrede, zählen lassen.

Nach einem kurzen Tempus und dem beliebten Damenkneipenklassiker „Gold und Silber“ stand bereits die nächste kurze Leistung an:  BB Rasmus erheiterte die Anwesenden mit einer Geschichte über Onkel und Neffen, die am Ende als Auszug aus Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ durch das fachkundige Publikum identifiziert werden konnte.

Heiter weiter ging es dann mit einem kleinen Bierschwefel unter dem Motto „Weihnachtsgeschichte mit KI“. Die BBs Columbus und Copy sollten abermals mit der Hilfe von KI kurze Weihnachtsgeschichten, mit Hilfe von Stichworten erstellen lassen und vortragen. Dass die neue Technik richtig eingesetzt (weitere Stichwörter und Vorgaben für die KI) recht beeindruckende Ergebnisse an den Tag bringen kann belegten die beiden mit zwei kurzen und einer langen Geschichte.

Und dass eine Weihnachtsgeschichte auch spontan und analog möglich ist, bewies BB Claviator – der Inhalt: Ich sag mal, irgendwas mit Tacho.

Zum Abschluss dieser sehr gelungenen Damenkneipe, die bekanntermaßen auch die letzte Kneipe der amtierenden Chargia ist, bedankte sich der Senior für die Unterstützung und den Andrang bei den gutbesuchten Kneipen des letzten Jahres und wünschte im gleichen Zuge der neuen Chargia ein glückliches Händchen für 2024.